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Lavendel – das blaue Gold

Lavendel – das blaue Gold

Othmar Wüest, Redaktor und Autor, schreibt und recherchiert für Aromalife

Welch violette Pracht! Wir haben die Bilder der endlosen, unkrautfreien Felder auf Kalendern oder Instagram längst verinnerlicht. Dabei handelt es sich nicht um echten Lavendel, sondern um Lavandin. Der in der Aromatherapie bevorzugte echte Lavendel ist zart lila und gedeiht in den kargen, höher gelegenen Regionen der Provence, wo er ein ätherisches Öl von hoher Qualität entwickelt.

«Der Ruhestifter» – auf den Spuren des Lavendels

Auf einmal wechselt die Landschaft. Im schwülwarmen Carpentras dominieren Melonen- und Kirschenplantagen. Jetzt fahre ich durch provenzalischen Bergwald hoch zum Plateau von Sault. Der lang gezogene, kalkweisse Mont Ventoux grüsst aus der Ferne. Auf 800 Metern über Meer geht ein kühler Wind und der Atem leichter. Eichen, Zedern und Buchs säumen die Strasse, dazwischen liegen kleine Äcker und auf einmal – das erste Lila.
Von der Esplanade, dem kleinen Park in Sault, erblicke ich das Plateau im Abendlicht. Ein Mosaik von Lavendel, Einkorn und Muskateller-Salbei, Hecken um Hecken – mittendrin ein paar Schafe.

Auf den Lavendelfeldern

Bienen, Hummeln und Schmetterlinge bevölkern die lila Felder – ein nicht endender, vielfältiger Summton. Angezogen vom hohen Zuckergehalt der Blüten produzieren die Bienen den beliebten, weisslichen Lavendelhonig.

Fast immer weht dieser erfrischende, leichte Wind. Wenn er sich zum Mistral wandelt, trocknen seine Fallwinde die Felder aus, was dem Lavendel zugutekommt. Allerdings erhöht dies auch die Waldbrandgefahr. Die Felder leuchten in fein gestuften lila Tönen, kontrastiert vom Gelbgrün des Einkorns. Auch Linsen und Kichererbsen werden hier angebaut.

Zu Besuch bei Vincent, Lavandiculteur

Ich besuche Vincent auf seiner Farm La Loubatière. Seit Generationen wird hier 100 Meter über dem Plateau von Sault Lavendel kultiviert.

Ich erschrecke kurz, denn seine geknickte und ladebereite Flinte liegt auf dem Küchentisch. Ein Hinweis darauf, dass ich hier nicht nur einem leidenschaftlichen Lavandiculteur, sondern auch einem passionierten Chasseur begegne. Sofort entbrennt die Wolfsdiskussion ähnlich wie in der Schweiz. Ich vermag seinem provenzalischen Französisch nur knapp zu folgen. Dann lenke ich sanft auf den Lavendel über.

Vincent lebt mit seiner Familie, den vier Jagdhunden, zwei Eseln, Gänsen und Hühnern auf einem Gut von 130 Hektaren. Auf 80 Hektaren kultiviert er hauptsächlich echten Lavendel (Lavandula angustifolia) sowie kleinere Mengen an Lavandin (Lavandula x intermedia) und Speiklavendel (Lavandula latifolia).

Vincent fährt mich in seinem Pick-up zu den weit verstreuten Feldern. Ich muss mich festhalten, wenn er scharfe Kurven oder grobe Steigungen auf dem losen Grund rasant angeht. Die Felder liegen zum Teil zwischen kleinen Wäldern voll Buchs und Dorngesträuch, mühsam gerodet von seinen Vorfahren. Der kalkreiche, trockene Schotterboden bietet das ideale Terrain für Lavendel. Heisse, trockene Sommer und eisige Winter sagen ihm zu. Die sonst anspruchslose Pflanze will vor allem eines: Sonne, Sonne, Sonne.

Die Kunst des Anbaus

Der Frühling war nass, daher steht der Lavendel Mitte Juli noch nicht in voller Blüte. Doch sobald der richtige Moment gekommen ist, muss innerhalb von zehn Tagen geerntet werden. Entscheidend ist der Blütenstand. Je nach Sorte, Klima und Meereshöhe kann dieser Zeitpunkt auch schon Ende Juni erreicht sein.

Beim Thema Anbau kommt Vincent in Fahrt. Er arbeitet mit verschiedenen Techniken, sät die Samen direkt in die Reihen oder entnimmt einem Saatfeld jeweils Setzlinge, die Stück für Stück in die langgezogenen Reihen gepflanzt werden. Immer schön 1.80 Meter auseinander. Das Mass prägt die Landschaften und ist dem Radstand der Traktoren geschuldet.

Die Hege der Setzlinge sowie der Samenpflanzen erfordert viel Zeit und Handarbeit. Beim biologischen Anbau werden die Reihen regelmässig gejätet, beim konventionellen Anbau übernehmen meist Herbizide diese Aufgabe. Vom Samen bis zur ersten Ernte dauert es beim echten Lavendel drei Jahre, dann vermag der Lavendel das Unkraut auch aus eigener Kraft zu verdrängen. Eine Pflanzung kann bei gutem Gedeihen bis 15 Jahre genutzt werden.

Gutes Gedeihen ist allerdings nicht garantiert. Auch Vincents Pflanzen spüren den Klimastress. Schädlinge wie die Gallmücke oder der Blattkäfer bedrohen die Kulturen. Besonders hinterhältig ist jene Zikadenart, die die Wurzeln angreift. Da ihre Larven im Boden leben, wirken auch Insektizide nicht. Das Hellgrün der befallenen Stauden verrät die Schädlinge aber schnell. Vincent hat inzwischen die Anbauweise angepasst, in dem er den Lavendel direkt in die teils losegewordenen Reihen frisch einsäht. Mit Erfolg, wie er zufrieden bemerkt.

Die Kunst der Destillation

Vincent produziert biologisch und gemäss den Regeln der regionalen geschützten Ursprungsbezeichnung Appellation d’origine protégée AOP. Dazu braucht er einen Distillateur mit Erfahrung und Gespür für sein ätherisches Öl. In der Gegend um Sault herum gibt es neun Distillerien. Die Distillerie LES LAVANDES DE VENTOUX bietet Vincent mit Jérôme einen erfahrenen und vertrauten Partner. Jérôme Boenle baut selbst auch Lavendel an und die beiden verbindet eine lange Freundschaft.

Am Vorabend komme ich rechtzeitig zur Destillation. Die Bauern liefern das Erntegut in grossen, sogenannten Caissons. Diese werden fest verschlossen und anschliessend unter Wasserdampf gesetzt. Der mit ätherischen Ölen angereicherte Dampf steigt durch Röhren auf, welche als Spiralen in einem Kühler münden. Dort kondensiert der Dampf; das entstandene Gemisch trennt sich in Wasser und ätherisches Öl. Das leichtere Öl kann direkt abgeschöpft werden. Das verbleibende aromatische Wasser wird als Hydrolat verkauft. Insgesamt dauert die Destillation eines Caissons rund eineinhalb Stunden.

Jérôme lächelt, als ich ihn wegen Qualitätskontrollen befrage. Er war Präsident der Association AOP und weiss um die Ansprüche und Kontrollen. Auch wenn seine Sätze oft mit «C’est compliqué, mais ...» beginnen, spüre ich die Freude und den Stolz des Lavandiculteurs.

Vom Hof in die Boutique

In der hübschen Boutique an der Rue d’Église begegne ich Emmanuelle, Vincents Frau. Sie verkauft frische Lavendelsträusse, ätherische Öle sowie Seifen, Balsame und Crèmes, welche sie und ihr Mann mit hofeigenem Lavendel herstellen lassen. Direkter geht es nicht.

Sie arbeitet derzeit an der Entwicklung eines eigenen Verkaufsshops und hat immer wieder neue Ideen. Vor ein paar Jahren gehörte sie sogar zu den «Nez», also jenen Personen, die über ihre Nase die besten der AOP-Öle beurteilten.

Früher waren Vincent und Emmanuelle leidenschaftliche Marktfahrer. Bis zu neun Mal pro Woche boten sie ihre Waren an. An den touristisch beliebten Lavendelfesten in Ferrassières und Sault nehmen sie heute noch teil. Letzteres findet jeweils am 15. August statt, in Ferrassières ist es der erste Sonntag im Juli.

Der Hauptteil ihrer Ernte geht an Vertriebspartner, in Vincents Fall an ARÔMA’PLANTES und an TERRA PROVENCE, wo das Öl streng unter die Lupe genommen wird.

Qualitätskontrolle bei TERRA PROVENCE

Eine einsame Passstrasse schlängelt sich Richtung des Département Drôme. Typischerweise sind mehr Rennräder unterwegs als Autos. Während ich über den Pass pedale, erblicke ich wieder Lavendelfelder bis zum Horizont. Als ich Montguers erreiche, erwartet mich Victoire draussen. Die Agraringenieurin leitet TERRA PROVENCE. Hier werden die ätherischen Öle mittels Chromatografie auf ihre Qualität untersucht. Das Panschen mit minderwertigen Ölen soll ausgeschlossen werden. Victoire und ihr Team erlauben sich zudem Stichkontrollen auf den Feldern, da die Herkunft des Lavendels eine grosse Rolle spielt.

TERRA PROVENCE handelt nur mit Produkten aus biologischem Anbau. Für die Umstellung von konventionellem auf biologischen Anbau müssen Lavendelfelder drei Jahre ruhen. Jegliche Herbizide sind verboten. Ohne Chemie ist Handarbeit gefragt. Inzwischen haben viele Bauern auf dem Plateau auf Bio umgestellt. Victoire kennt die aromatherapeutischen Wirkungen ihrer Pflanzen. Sie glaubt an die guten Effekte der Natur und ist von den gesunden Auswirkungen des Lavendels auf die Psyche überzeugt. Der Lavendel ist für sie das Öl der Mitte, ausgleichend und ruhefördernd. Ein Öl, um sich Gutes zu tun.

Auch Vincents Lavendelöle kommen hier unter die Lupe. Er arbeitet seit langem mit TERRA PROVENCE zusammen. Qualität, Transparenz und stabile Preise stützen das gegenseitige Vertrauen. Der Rest ist Leidenschaft.

Qualitätsgarantie AOP – Appellation d’Origine protégée

Vincents ätherische Öle tragen das Label AOP (Appellation d’Origine protégée), wie wir es von Weinen und Olivenölen kennen. Herkunft und Qualität werden vom staatlichen französischen «Institut National des Appellations d’Origine» überwacht. Hier kommen die erwähnten «Nez» ins Spiel. Um das Label zu erlangen, unterliegen die Öle auch einem olfaktorischen Test von sieben regionalen Experten und Expertinnen.

Zu Beginn werden die vorgeschriebenen Anteile von Kampfer, Linalool und 12 anderen Inhaltsstoffen überprüft. Weiter spielt die geografische Herkunft eine grosse Rolle. Das Label gilt nur für die 255 Dörfer der Départemente Drôme, Vaucluse, Hautes-Alpes und Alpes de Haute-Provence (oberhalb von 800 Metern über dem Meeresspiegel). Pflanzen und Samen müssen im hofeigenen Kreislauf verbleiben. Ein Detail: Häufig bleiben die Bauern selbst während der Destillation vor Ort, um sicherzustellen, dass es zu keiner Vermischung mit fremden Ölen kommt.

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